Fernsehen von nebenan. Sächsisches Lokalfernsehen 1990 bis 1995
Verluste von Vertrautem, von Heimat, und Suche nach neuem, nach neuer Heimat, kennzeichneten in besonderer Weise die frühen Jahre des deutsch-deutschen Vereinigungsprozesses. Zu sehen ist das in den Programmen der lokalen Fernsehveranstalter in Sachsen. Bewegte und bewegende Nah-Bilder der 1990er Jahre, die in keinem öffentlich-rechtlichen Fernseharchiv zu finden sind. Kontinuierlich hielten sie die Umbrüche und Veränderungen des Alltags fest, so wie es bei keinem historischen Umbruchsprozess bisher der Fall war. Sie zeigen Verluste und Suche nach Neuem. Sie dokumentieren Kontinuitäten und Brüche von Tradition und Sozialisation, Euphorie und (allzu schnell) enttäuschte Hoffnungen. Die Kamera ist nah dran und überall dabei, und die noch unbefangenen Frager sind Nachbarn ihrer Zuschauer, stecken selbst in den Prozessen, die sie festhalten und mediatisieren, fordern Feedback und Positionierung heraus.
Diese Programme sind bisher in der Öffentlichkeit völlig unbekannt – oder mit klischeehaften, negativen Vorurteilen belastet. Doch Lokalfernsehen ist Heimatfernsehen im besten, aufgeklärten, nicht verstaubten Sinne, es ist lokales Gedächtnis und kultureller Speicher. Vor allem die Bilder der Sattelzeit (1990-95) rufen persönliche Erinnerungen und Erfahrungen des Umbruchs hervor, machen sie einer Neubewertung und Einordnung zugänglich und sind ein noch unausgeschöpfter Fundus unserer Mentalitäts- und Politik-Geschichte, unseres kollektiven kulturellen Gedächtnisses.
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